Herzkinder im Kindergarten

Immer wieder kommen Eltern auf uns zu, die keinen KiTa- oder Kindergartenplatz für ihr Herzkind finden. Sorgen, sowohl bei den Eltern als auch bei dem Personal der verschiedenen Einrichtungen spielen eine Rolle. Um einen besseren Einblick in das Thema zu bekommen, haben wir uns mit Hannah (der Name wurde aus Datenschutzgründen verändert) getroffen. Hannah ist ausgebildete Kinderpflegerin und arbeitet in einer KiTa. Ihre Tochter kam mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Dementsprechend kennt Hannah sowohl die Perspektive der Eltern, als auch die Perspektive der Einrichtung.

Verein: Warum hast du dich damals entschieden, deine Tochter in einem Kindergarten anzumelden?

Hannah: Die Antwort ist relativ simpel: Ich musste arbeiten. Deshalb musste meine Tochter tagsüber außerfamiliär betreut werden. Trotzdem ist es mir nicht leichtgefallen, sie für die Stunden abzugeben.

Verein: Warum ist es dir nicht leichtgefallen?

Hannah: Ich würde behaupten, dass es allen Eltern schwerfällt, ihre Kinder in eine Betreuung zu geben. Bei mir kam dazu, dass meine Tochter einen angeborenen Herzfehler hat und ich natürlich Angst hatte, dass zum Beispiel ein Notfall eintritt und ich nicht da bin. Außerdem gab es einige Aspekte, auf die geachtet werden mussten.

Verein: Was waren das für Aspekte?

Hannah: Meine Tochter war schnell erschöpft und musste dementsprechend viel schlafen. Außerdem aß sie zu wenig, weshalb sie eine Nasensonde brauchte. Hatte sie über Tag zu wenig gegessen, führte ich ihr über die Nasensonde Essen zu. Deshalb war es wichtig, über Tag sehr genau darauf zu achten, wie viel und was sie gegessen hatte.

Verein: Hast du dich durch den Kindergarten unterstützt gefühlt?

Hannah: Um ehrlich zu sein: Nein. Die Kommunikation gestaltete sich äußerst schwierig. Ich hatte das Gefühl, dass auf die abgesprochenen Aspekte nicht genug geachtet wurde. Insbesondere beim Thema Essen musste ich immer wieder nachfragen. Ich hatte den Eindruck, dass die Erzieher*innen genervt waren von meinen Nachfragen zu dem Thema. Außerdem wussten nur einige Erzieher*innen von dem Herzfehler meiner Tochter, was zu weiteren Beobachtungslücken führte. Einmal musste auch der Arzt einen Brief schreiben worauf nach der Operation zu achten ist. Als ich diese Informationen kommuniziert hatte, waren sie nicht umgesetzt worden, was sehr schade ist.

Verein: Wie sind die anderen Kinder auf deine Tochter eingegangen?

Hannah: Die anderen Kinder waren sehr neugierig und haben immer mal wieder nachgefragt, warum meine Tochter zum Beispiel eine Narbe auf der Brust hat. Sie ist ganz offen mit ihrem Herzfehler umgegangen und antwortet auf diese Frage auch heute noch ganz ausführlich. Ansonsten haben die Kinder sie aber genauso aufgenommen wie alle anderen.

Verein: Da du als Kinderpflegerin arbeitest, kennst du nicht nur die Perspektive der Eltern, sondern auch die der Einrichtung. Wenn in eurer Einrichtung ein Herzkind betreut wird, worauf müssen du und deine Kolleg*innen achten?

Hannah: Es gibt viele verschiedene angeborene Herzfehler und Begleiterkrankungen. Dementsprechend muss eine solche Frage immer individuell beantwortet werden. Hierfür ist eine gute Planung und vor allem eine transparente Kommunikation innerhalb des Teams und im Austausch mit den Eltern unverzichtbar.

Verein: Würdest du sagen, ein Herzkind erfordert eine höhere Betreuungsintensität als andere Kinder?

Hannah: Die Beantwortung dieser Frage ist abhängig von vielen weiteren Faktoren, weshalb ich keine pauschale Antwort abgeben kann. Zu den Faktoren auf Seiten des Herzkindes zählen zum Beispiel die Schwere eines Herzfehlers, Begleiterkrankungen, der allgemeine gesundheitliche Zustand des Kindes, aber auch die psychische Verfassung und die Persönlichkeit des Kindes. Eine Herz-OP, Medikamentenumstellungen oder ähnliches können für eine gewisse Zeit die Betreuungsintensität für das Herzkind erhöhen. Natürlich ist es aber auch denkbar, dass über die Zeit das Kind weniger intensiv betreut werden muss. Auf der Seite der anderen Kinder gibt es aber natürlich auch Faktoren, die die Betreuungsintensität beeinflussen. Faktoren können natürlich Erkrankungen sein, Allergien aber auch Verletzungen. Natürlich kommt es auch vor, dass Kinder psychisch instabiler sind, weil es zum Beispiel im Elternhaus kriselt. Generell ist an dieser Stelle aber auch zu betonen, dass es bei fast allen Kindern zu mindestens Phasen gibt, in denen man diesem Kind mehr Aufmerksamkeit schenken muss. Ich möchte damit dafür sensibilisieren, das Herzkind nicht mit dauerhaft physisch und psychisch stabilen Kindern zu vergleichen.

Verein: Inwiefern beeinflusst die Persönlichkeit des Kindes die Betreuungsintensität?

Hannah: Stellt euch vor, ihr betreut ein Kind, das vor einiger Zeit eine Herz-OP hatte. Mittlerweile darf das Kind wieder in den Kindergarten oder in die KiTa, muss sich aber an einige Anweisungen vom Arzt halten, wie zum Beispiel keinen Sport ausüben. Fällt es dem Kind nun sehr schwer sich, an diese Anweisungen zu halten, müsst ihr das Kind noch mehr im Blick haben und öfter einschreiten als ein Kind, dass sich an die Anweisungen hält.

Verein: Wie erklärst du dir, dass viele Einrichtungen keine Herzkinder aufnehmen?

Hannah: Ich würde vermuten, dass die Diagnose Verunsicherung bei der Einrichtung auslöst. Wir alle wissen, dass das Herz lebensnotwendig ist. Doch mit den verschiedenen Herzfehlern kennen sich die meisten nicht aus. Sie können nicht einschätzen, was die Diagnose für die Betreuung dieses Kindes bedeutet. Dementsprechend schätze ich, dass aufgrund von Unwissenheit auch Unsicherheit entsteht.

Verein: Was brauchen Einrichtungen deiner Meinung nach, um Herzkinder gut betreuen zu können?

Hannah: Das Wichtigste ist Kommunikation. Die Eltern müssen gegenüber der Einrichtung offen mit dem angeborenen Herzfehler umgehen und transparent die Anforderungen an eine Betreuung darstellen. Die Einrichtung muss offen sein für die Wünsche der Eltern, aber auch eine realistische Rückmeldung geben, was das Personal leisten kann und auch rechtlich darf. Auf diesem Austausch kann eine Art Betreuungsplan erarbeitet werden. Sollten Änderungen an diesem Plan von Nöten sein, können diese in Gesprächen besprochen werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass das gesamte Personal über die Erkrankungen und den Betreuungsplan Bescheid weiß. Ein Leitfaden für den Notfall sollte bestenfalls im Gruppenraum ausgehängt werden, sodass im Zweifelsfall jeder nachlesen kann, was zu tun ist.

Verein: Was brauchen Eltern, um ihr Herzkind mit einem guten Gefühl in eine Betreuung zu geben?

Hannah: Vor allem ein offenes Ohr für Ängste und Sorgen. Natürlich kann das Personal einer Einrichtung keine psychosoziale oder psychologische Beratung anbieten. Aber wir können bei Problemen zuhören und unsere Wahrnehmung vom Kind einbringen. Immer wieder erlebe ich, dass Eltern unsere Angebote nicht annehmen. Gründe hierfür sind beispielsweise, dass Eltern befürchten, Gesprächsinhalte würden dem Jugendamt mitgeteilt. Andere Eltern haben die Sorge, dass sie schlechte Eltern sind, wenn sie Hilfe annehmen. Es ist normal, dass es immer wieder Schwierigkeiten gibt. Es ist keine Schande, sich in solchen Momenten Hilfe zu holen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist denke ich, dass Eltern immer wieder vor Augen geführt wird, wie wichtig uns eine bestmögliche Betreuung des Kindes ist. Niemand möchte, dass ein Kind sich nicht wohl fühlt oder ein Notfall geschieht. Dieses Wohlwollen auf beiden Seiten, gerät des Öfteren in den Hintergrund. Deshalb möchte ich das an dieser Stelle noch einmal betonen.

Vielen lieben Dank Hannah für das tolle Interview und deine Offenheit!