Pränataldiagnostik

Pränataldiagnostik - Was ist das eigentlich?

In unserer Vereinsarbeit haben wir festgestellt, dass es viele Fragen rund um das Thema Pränataldiagnostik gibt. Gerade in Familien, in denen mehrere enge Verwandte angeborene Herzfehler haben, wird oft Pränataldiagnostik durchgeführt. Doch was genau ist Pränataldiagnostik? Wer führt Pränataldiagnostik durch? Wie werden diese Untersuchungen finanziert?

Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, haben wir ein Interview mit Herrn Prof. Dr. med. Ralf Schmitz geführt, dem Leiter der Sektion Geburtshilfe und Pränatalmedizin des UKM. Prof. Dr. med. Ralf Schmitz ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und seit 2002 im UKM tätig. Er hat das Zertifizierungsverfahren der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM)* im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe für die Stufe 2 abgeschlossen. Außerdem ist er als DEGUM Kursleiter tätig.

(*auf diese Zertifizierung wird im Laufe des Interviews näher eingegangen)

Verein: Was wird unter Pränataldiagnostik verstanden?

Schmitz: Grundsätzlich wird unter der Pränataldiagnostik alles an Diagnostik vor der Geburt verstanden. Darunter fällt unter anderem die Kinderwunschberatung, die Anamnese aber auch die Ultraschalldiagnostik.

Verein: Wer kann zur Pränataldiagnostik kommen?

Schmitz: Normalerweise suchen Frauen, die feststellen, dass sie schwanger sind, zeitnah eine gynäkologische Praxis auf. Für den weiteren Verlauf der Schwangerschaft erhalten sie einen Mutterpass, in den die Ergebnisse der Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft eingetragen werden. Wenn bei diesen Untersuchungen Auffälligkeiten bei Mutter oder Kind festgestellt werden, die mit Hilfe der Pränataldiagnostik weiter untersucht werden sollten, stellt die Gynäkologin oder der Gynäkologe eine Überweisung aus. Weitere Gründe für eine Überweisung können auch soziale, familiäre und psychische Faktoren sein.

Verein: Pränataldiagnostik ist dementsprechend keine Pflicht?

Schmitz: Nein, auch die Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft beim Gynäkologen oder der Gynäkologin sind nicht verpflichtend. Ich empfehle aber jeder Frau, die Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen. Komplikationen können so erkannt werden und Mutter und Kind kann früh geholfen werden. Ein weiterer wichtiger Grund, die Untersuchungen durchführen zu lassen, ist unsere “Helikoptergesellschaft”. Besonders über das Internet haben wir die Möglichkeit, schnell viele Informationen zu erhalten. Diese Informationen sind oft ungeprüft und verschärfen die eigenen Sorgen mehr, als das sie sie nehmen. Deshalb ist der Kontakt zu Gynäkologinnen und Gynäkologen sowie Hebammen so wichtig. Sie verfügen über das nötige Fachwissen und die nötige Fachkompetenz, um Fragen zur individuellen Schwangerschaft beantworten zu können

Verein: Welche Vorsorgeuntersuchungen werden in der Schwangerschaft angeboten?

Schmitz: In der Regel finden unter anderem vorgeschriebene Blutabnahmen, Urinuntersuchungen und drei Ultraschalluntersuchungen statt. Diese Ultraschalluntersuchungen werden um die 10., 20. und 30. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Ein erweiterter Sonocheck kann in der 20. Bis 22. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden, um zu überprüfen, ob z. B. alle 4 Herzkammern vorhanden sind. Um das Herz aber genauer zu untersuchen, muss eine spezialisierte Pränataldiagnostik herangezogen werden.

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Verein: Wie läuft Pränataldiagnostik ab?

Schmitz: Die Pränataldiagnostik besteht aus drei Teilen, dem Vorgespräch, der sonographischen Untersuchung und dem Nachgespräch. In dem Vorgespräch werden das Anliegen, die Grenzen und die Erwartungen geklärt. Im Nachgespräch werden die Ergebnisse und das weitere Vorgehen besprochen. Pränataldiagnostik ist dementsprechend sehr viel Beratung. Es geht um die Betreuung von Menschen und danach muss auch die Medizin ausgerichtet sein. In der Regel besteht ein Wissensgefälle zwischen dem medizinischen Personal und den Patientinnen. Um diesem Wissensgefälle angemessen zu begegnen, gestalten wir die Beratungssitzungen möglichst transparent. Konkret bedeutet das, dass wir gemeinsam mit allen involvierten Ärztinnen und Ärzten sowie den Patientinnen und gegebenenfalls den Angehörigen das Vorgehen und die Ergebnisse diskutieren. Die Patientinnen können gesammelt ihre Fragen stellen und den Behandlungsprozess mitgestalten.

Verein: Wodurch entstehen angeborene Herzfehler?

Schmitz: Angeborene Herzfehler können zum Beispiel aufgrund von einer auffälligen Genetik entstehen. Mitunter liegt der Grund aber auch im Schwangerschaftsverlauf. Das Herz bildet sich bereits früh in der Schwangerschaft, zwischen der 4. und 7. Woche. Dieser Prozess ist sehr komplex und besteht aus mehreren kleinschrittigen Teilprozessen. Es kann in dieser Zeit zu Fehlern im Bauplan der natürlichen Entwicklung des Herzens kommen. Oft wissen Frauen in der 4. Schwangerschaftswoche auch noch nichts von ihrer Schwangerschaft, weshalb sie zum Beispiel noch Alkohol trinken, der erwiesener Maßnahmen negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben kann. Auch durch eine Virusinfektion der Mutter in dieser frühen Phase kann eventuell das Herz in seinem Bildungsprozess gestört werden. Als Folge kann es auch zu angeborenen Herzfehlern kommen.

Verein: Welche Untersuchungen werden durchgeführt?

Schmitz: Der Pränataldiagnostik stehen spezielle Ultraschallgeräte und invasive Genanalysemethoden zur Verfügung. Hier im UKM sind wir als pränatales Referenzzentrum auch auf komplexe Fälle spezialisiert, weshalb wir modernste High End Ultraschallgeräte vorhalten. Eine Genomanalyse mittels einer Array- und Whole Exome Analyse kostet bis zu 10.000 Euro. Diese Kosten können in der Regel über die Krankenkasse abgerechnet werden.

Verein: Wer bietet Pränataldiagnostik an?

Schmitz: Pränataldiagnostik wird sowohl von einigen Kliniken als auch von spezialisierten Praxen angeboten. Bei der Auswahl der geeigneten Klinik oder Praxis sollte einerseits einbezogen werden, ob man sich gut aufgehoben und beraten fühlt. Andererseits ist es lohnend, sich näher mit der Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte auseinander zu setzen. Von der Ärztekammer wird eine Kassenzulassung für besonders qualifizierte Ärztinnen und Ärzte ausgestellt. Außerdem können die Ärztinnen und Ärzte über eine Zertifizierung von der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) verfügen, für den Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe. Sie sollten dort mindestens die Stufe 2 erfüllen.

Verein: Was würden Sie einer Frau mit angeborenem Herzfehler raten, die einen Kinderwunsch hegt?

Schmitz: Ich würde ihr empfehlen, sich gut beraten zu lassen und offen mit ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten zu sprechen, insbesondere mit der Kardiologin beziehungsweise dem Kardiologen und gegebenenfalls mit dem EMAH-Zentrum (Zentrum für Erwachsene mit angeborenem Herzfehler). Es sollten die medizinischen Daten erhoben werden. Es gibt unterschiedliche Herzfehler, die mitunter von weiteren Erkrankungen begleitet werden können. Deshalb sollte die Frage Schwangerschaft ja oder nein immer auf individueller Ebene beantwortet werden. Während der Schwangerschaft sollte sich die Frau alle 1-2 Monate bei ihrer Kardiologin oder ihrem Kardiologen vorstellen. Pränataldiagnostik ist ebenfalls sehr sinnvoll, um einen Herzfehler des Kindes auszuschließen. Bezüglich der Geburt würde ich generell zu einer natürlichen Geburt raten, als zu einem Kaiserschnitt, da dieser für eine herzkranke Schwangere in der Regel anstrengender ist. Aber auch hier gilt: es muss individuell entschieden werden.

Verein: Was würden Sie einer schwangeren Frau raten, dessen Kind einen angeborenen Herzfehler hat?

Schmitz: Wichtig ist auch hier, medizinische Fakten zu schaffen. Welchen genauen Herzfehler hat das ungeborene Kind und welche individuellen Konsequenzen ergeben sich aus der Diagnose? Ziel ist es, die Diagnose angemessen einzuordnen. Deshalb sollten die Ärztinnen und Ärzte aus den verschiedenen Fachbereichen Kardiologie, Neonatologie, Pränatalmedizin und gegebenenfalls weitere beteiligte Disziplinen zusammenarbeiten und gemeinsam mit der schwangeren Frau das Vorgehen besprechen. Hier im UKM arbeiten wir außerdem mit den Beratungsstellen außerhalb des Klinikums zusammen, wie beispielsweise ProFamilia, um unsere Patientinnen auch psycho-sozial gut betreut zu wissen. Für den seltenen Fall einer palliativen Versorgung haben wir zum Beispiel auch ein individuelles Betreuungskonzept.

Verein: Was ist besonders schwierig bei Ihrer Arbeit?

Schmitz: Generell kommen Frauen zu uns, weil sie entweder einfach wissen möchten, ob ihr Kind gesund ist oder einen zusätzlichen Beratungsbedarf in der Schwangerschaft haben. Dabei ist nicht zu unterschätzen, dass die Gedanken und Fragen um die Gesundheit ihres Kindes oftmals damit einhergehen, dass die Patientinnen und ihre Angehörigen sehr besorgt und emotional sein können. Diese Situation kann zusätzlich von den Schwangerschaftshormonen oder auch anderen Erkrankungen beeinflusst sein, wie beispielsweise psychischen Störungen. Unsere Aufgabe ist es, qualitativ hochwertige medizinische Untersuchungen durchzuführen und kompetent und individuell zu beraten. Dazu gehört auch, in gewisser und begrenzter Weise auf die psychische Verfassung der Patientinnen und ihren Angehörigen einzugehen. Besonders schwierige Situationen sind die, in denen die Emotionen von Patientinnen und ihren Angehörigen “überkochen”, wenn ich das einmal so ausdrücken darf. Vor einigen Wochen wurde ich zum Beispiel im Rahmen einer Stresssituation von einem Partner einer Patientin bedroht. In solchen Situationen ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und das Verhalten meines Gegenübers professionell zu managen. Es ist zentral für unsere Arbeit, kompetent, empathisch und verbindlich in der Interaktion mit unseren Patientinnen und ihren Angehörigen zu agieren, damit solche Situationen selten vorkommen. Trotzdem ist es wichtig, dass wir regelmäßig an Supervisionen teilnehmen und uns gegenseitig im Team unterstützen.

Verein: Wie setzt sich Ihr Team zusammen?

Schmitz: Unser interprofessionelles Team setzt sich aus verschiedenen medizinischen Fachkräften zusammen. Hierzu zählen u.a. Medizinische Fachangestellte, Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege, Hebammen, Sozialarbeitende und ärztliche Kolleginnen und Kollegen. Natürlich gehören auch alle nicht-medizinischen Fachkräfte zu unserem Team. Jede Person in unserem Team ist wichtig, damit alle bestmöglich arbeiten können.

Verein: Was ist das Besondere an der Pränataldiagnostik im UKM?

Schmitz: Zum einen sind wir ein Universitätsklinikum, weshalb wir eng mit der medizinischen Fakultät der Universität Münster zusammenarbeiten. Außerdem forschen wir selbst aktiv an neuen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Zum anderen umfasst das UKM mehrere Kliniken, Zentren und Institute. Deshalb ist es uns möglich, mit Spezialisten aus unterschiedlichen Fachrichtungen eng zusammen zu arbeiten und unsere Patientinnen zu betreuen. Neben den Kontakten innerhalb des UKM, pflegen wir Kontakte auch zu anderen Kliniken und Spezialisten. Gerade bei schwierigen Fällen können sich die Kolleginnen und Kollegen in kurzer Zeit bei uns eine Zweitmeinung einholen. Wir arbeiten als eine Art Referenzzentrum für andere Kliniken oder Praxen.

Verein: Welche Ausbildung muss durchlaufen werden, um in der Pränataldiagnostik arbeiten zu dürfen?

Schmitz: Zuallererst muss natürlich ein Medizinstudium abgeschlossen werden. Anschließend erfolgt die Facharztausbildung im Bereich Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Um selbstständig und kompetent Pränataldiagnostik durchführen zu können, sollte man nach der Facharztausbildung mindestens zwei Jahre in einem pränataldiagnostischen Zentrum gearbeitet haben. Dieses entspricht dann in der Regel auch der Zertifizierung der Stufe 2 der DEGUM.

Verein: Was fasziniert Sie an der Pränataldiagnostik?

Schmitz: Was mich an der Pränataldiagnostik fasziniert ist, dass ein neues Leben, ein Kind geboren wird. Die Entstehung von neuem Leben ist für mich etwas Wundervolles und ein ganz besonderes Naturereignis. Besonders spannend finde ich, wie einzigartig jedes Kind ist. Deshalb ist der schönste Moment für mich der, in dem ein Kind zum ersten Mal die Augen öffnet. Der Blick offenbart einem schon so viel von dem Charakter des Kindes.

 

Vielen lieben Dank an Herrn Schmitz, für das ausführliche und informative Interview.

Wir hoffen mit diesem Blogbeitrag viele eurer Fragen beantwortet zu haben.